W&P Kommentar
München, 18.04.2024

Krankenhäuser unter Druck: Insolvenzquote steigt

Kommentar von Daniel Emmrich, Partner Operative Restrukturierung bei Dr. Wieselhuber & Partner
Daniel Emmrich
Partner 

In den letzten 30 Jahren ist die Anzahl der Kliniken in Deutschland um rund 21% gesunken – nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es Ende 2022 noch 1.893 Krankenhäuser. Doch dieser Rückgang hat nicht zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Branche beigetragen: im Jahr 2023 waren 18% der Krankenhäuser insolvenzgefährdet – nach einer Hochrechnung des RWI Krankenhaus Rating Reports 2023 befinden sich bis 2030 rd. 44% der Kliniken in akuter Insolvenzgefahr. Was hat zu dieser Entwicklung geführt und wie gelingt die Befreiung aus dem Krisenmodus?

Externe Daumenschrauben: Fachkräftemangel, Kostendruck, Krankenhausfinanzierung, Inflation
Der demographische Wandel in Deutschland ist Fluch und Segen für die Entwicklung des deutschen Gesundheitsmarkts. Während aufgrund der Bevölkerungsstruktur die Nachfrage nach Dienstleistungen im Gesundheitssektor stetig steigt, nimmt die Zahl verfügbarer Fachkräfte deutlich ab. Aktuelle Prognosen zeigen, dass im Jahr 2035 rd. 1,8 Mio. Fachkräfte im Bereich Gesundheit und Pflege fehlen werden. Weiterer Trigger: Die Finanzierung von Krankenhäusern geht auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz aus dem Jahr 1972 zurück. Grundsätzlich spricht man von einem „dualen Finanzierungssystem“, indem Investitionskosten (Neubauten, technische/medizinische Geräte, etc.) durch Fördermittel der Bundesländer finanziert werden, während die Betriebskosten (i.W. Behandlung von Patienten) die Krankenkassen tragen. Aber: Seit 1992 stagnieren die Fördermittel, während sich die Betriebskosten fast verdreifacht haben. Krankenhäuser müssen auch Investitionen aus Eigenmitteln finanzieren, um keinen Investitionsstau im Bestand aufzubauen und in neue technologische Innovationen investieren zu können - das duale Finanzierungssystem ist aus der Balance geraten.
Abbildung 1: Fördermittel vs. Betriebskostenentwicklung von 1992 bis 2022 (Quelle: Positionspapier IDW 06.03.2024)
Abbildung 1: Fördermittel vs. Betriebskostenentwicklung von 1992 bis 2022 (Quelle: Positionspapier IDW 06.03.2024)
 
Die jährlich durchgeführte Umfrage des DKI zeigt: 78% der Allgemeinkrankenhäuser rechnen für 2023 mit einem negativen, nur 7% der Häuser rechnen mit einem positiven Jahresergebnis. Weiterhin rechnen 71% für 2024 mit einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Wesentlicher Treiber ist dabei die mangelnde Finanzierung der starken Personalkostenentwicklung. Zudem laufen die Maßnahmen des Corona-Schutzschirms (bspw. Freihaltepauschalen und Versorgungszuschläge) aus bzw. zeigen einen deutlichen Rückgang seit 2020. Zudem zeigt die Prognose des Krankenhaus Rating Report 2023, dass der Anteil der KHG-Fördermittel an den Erlösen aus Krankenhausleistungen seit dem Jahr 1991 deutlich rückläufig ist – im Jahr 1991 wurden Erlöse aus Krankenhausleistungen i.H.v. 10% erwirtschaftet, im Jahr 2021 lag der Anteil nurmehr bei 3,2%. 

Der Krankenhaus-Betriebsvergleich der Solidaris Unternehmensgruppe zeigt, dass die EBITDA-Marge über alle Krankenhäuser im Jahr 2022 bei nur 1,2% liegt. Kombiniert man diese Aussagen, wird deutlich, dass eine Vielzahl von Krankenhäusern eine negative EBIDTA-Marge ausweisen und somit die Liquiditätsreserven deutlich belastet werden bzw. in vielen Fällen bereits aufgebraucht sind. Die aktuelle Inflation tut ihr übriges. Denn ein Krankenhaus kann nicht – wie in anderen Branchen üblich – die Mehrkosten an den Kunden weitergeben, sondern ist an Bundes- bzw. Landesbasisfallpauschalen gebunden, in denen Preissteigerungen nur rückwirkend berücksichtigt werden. Dadurch entsteht – insbesondere in Jahren mit steigender Inflation wie 2022 und 2023 – ein deutliches Vorfinanzierungsvolumen, das durch die Korrektur der Basisfallpauschalen auch in den Folgejahren nicht vollständig ausgeglichen wird. Die entstehende Finanzierungslücke tragen die Krankenhäuser aktuell selbst und dies verschlechtert die wirtschaftliche Situation weiter. Exemplarisch zeigen Auswertungen des IDW, dass die Finanzierungslücke zwischen Inflation und Anpassung der Basisfallpauschalen im Jahr 2022 bereits 4,6%, im Jahr 2023 schon 6,1% betragen hat und auch bei sinkender Inflation im Jahr 2024 wohl immer noch bei 4,0% liegen wird. Berücksichtigt man gegenläufige Effekte im besagten Zeitraum aus Energiehilfen und der Refinanzierung der Pflegepersonalkosten, bleibt eine kumulative Finanzierungslücke für den Zeitraum 2022 bis 2024 i.H.v. rd. 7%.

Interne To Do-Liste wächst
Krankenhäuser stehen in einem prekären Spannungsfeld aus politischer Regulatorik und gesellschaftlicher Faktoren. Zudem müssen interne Hausaufgaben gemeistert werden, um der aktuellen Entwicklung entgegenzuwirken. Dass dieses Spannungsfeld nicht durch das Krankenhaus allein aufgelöst werden kann, liegt auf der Hand. Dennoch liegt der erste Handlungsbedarf bei den Häusern selbst: Wenn die internen Aufgaben angestossen wurden, Initiativen zur Prozessoptimierung und Digitalisierung insgesamt und die Professionalisierung in der Verwaltung angegangen wurden , kann auch der Druck auf die Politik erhöht werden, um vorliegende Mängel im dualen Finanzierungsproblem zu lösen. Darauf zu warten, dass sich zuerst die politischen und gesellschaftlichen Faktoren in Wohlgefallen auflösen, ist definitiv der falsche Weg und birgt zudem auf der InsO deutliche Haftungsrisiken für die Entscheidungsträger der Einrichtungen.
Schritte zur internen Optimierung müssen jetzt, ohne zu zögern, eingeleitet und zudem entsprechende Frühwarnsysteme – insbesondere eine belastbare Liquiditätsplanung – aufgebaut werden, damit die operativen Handlungsspielräume bestimmt und genutzt werden können.
 
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