W&P Kommentar
München, 28.04.2022

Geopolitische Intelligenz: Erfolgsfaktor für eine weitsichtige Unternehmensführung

Kommentar von Jürgen Gottinger, Mitglied der Geschäftsleitung bei Dr. Wieselhuber & Partner
Jürgen M. Gottinger
Mitglied der Geschäftsleitung 

Er hat es getan. Präsident Putin hat einen umfänglichen Angriff auf die Ukraine befohlen und führt Krieg gegen das Brudervolk mit einer 1000-jährigen gemeinsamen Geschichte. Putins Russland beschwört damit die größte politisch-militärische Bedrohung für den Weltfrieden seit der Kubakrise 1962 herauf.

Die unmittelbaren Folgen sind wirtschaftlich gesehen exorbitant. Das Großprojekt Nordstream2 ist auf unabsehbare Zeit gestoppt – ein Milliardenschaden. Mit den Sanktionen der EU im Zahlungsverkehr drohen Milliardenausfälle, eine empfindliche Störung des internationalen Zahlungsverkehrs und der Verlust wichtiger Absatzgebiete für deutsche Unternehmen.

Schwache Signale
Dabei war die Genese dieser Krise ein Lehrbeispiel dafür wie sich schwache Signale zu Handlungssträngen verdichteten: Kaukasus, Georgien, Verflechtung mit Belarus, neue Rolle Russlands im Nahen Osten, Einflussnahme Russlands durch Cyberattacken, massive Verzerrung des Bildes des Westens.

Gleichzeitig hat China vor allem mit seiner BRI (Belt-and Road-Initiative) die bisher größte globale Infrastrukturveränderung initiiert. Auch hier gehen Wirtschaft und Expansionspolitik eine enge Verbindung ein. China ist entschlossen ein Netz von Infrastrukturbeteiligungen in Form von z. B. Pachtverträgen über Seehäfen wie Hambantota in Sri Lanka, Piräus bei Athen zu schaffen. Bei der Wahl der Mittel ist China nicht zimperlich. Kredite werden genutzt und vergeben, um massiv die politischen Interessen der betroffenen Staaten zu beeinflussen und bei drohenden Ausfällen die Infrastrukturen zu übernehmen. Zusätzlich bestraft China im engeren Einflussbereich des Pazifiks fehlendes politisches Wohlverhalten, indem Importquoten z. B. für Nahrungsmittel und Rohstoffe spontan gekürzt werden, so geschehen mit Australien.

Es gibt weitere vielfältige Beispiele vor allem in den Ländern Afrikas, wo China ähnlich vorgeht. Hinzu kommt der technologische Führungsanspruch und die militärische Aufrüstung Chinas im konventionellen und nuklearen Sektor. Wird China dem Vorbild Putins folgen und Taiwan angreifen, damit wären die USA an zwei Fronten gebunden und ein wesentliches Ziel der Schwächung des Westens erreicht.

Unternehmensstrategische Folgen
Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, wie systematisch Geopolitik in das Wirtschaftsgeschehen und darüber hinaus eingreift und die zukünftigen Geschäftschancen aber vor allem die Risiken für die Unternehmen erhöht.

Wie können Unternehmen mit diesen Unsicherheiten umgehen, den wirtschaftlichen Schaden begrenzen, flexibel auf sprunghafte Veränderungen bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen?
Zunächst einmal scheint es so als ob es wenig Sinn macht, auf adäquate geopolitische Strategieentwürfe des Westens bzw. der Europäischen Union zu warten. Zu tief sind die politischen Gräben zwischen den Einzelstaaten, jeder für sich zu winzig, um Geopolitik wirtschaftlich und gar militärisch zu betreiben.

Unternehmensstrategische Antworten – was bleibt zu tun?
  • Auf Grund der hohen Exportabhängigkeit sind Investitionen in eine eigene Frühaufklärung bzw. in kooperative Gemeinschaftsaktivitäten der Unternehmen gefragt. Das Wissen in den Netzwerken der unterschiedlichsten Unternehmen muss koordiniert werden, damit sind Einschätzungen von Störereignissen früher und präziser entdecken. Die Digitalisierung macht es möglich.

  • Ein exzellentes strategisches Management auf Basis modernster Analysemethoden wie z.B. Szenarien in Verbindung mit KI, die auch wenig wahrscheinliche Ereignisse berücksichtigen und auf die Folgen für Absatz, Umsatz, Gewinn und Liquidität abgestellt sind muss etabliert werden; es erfordert die Mitarbeit einer Reihe externer Experten und Berater mit übergreifendem und speziellem Wissen aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und ggf. auch Geschichte, um neues relevantes Wissen zu erzeugen. Die Unternehmensführung muss das verlangen, einleiten und umsetzen.

  • Die Unternehmensaktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette (nicht nur der Versorgung mit Rohstoffen und Komponenten) müssen auf Ihre „Anfälligkeit“ gegenüber externen geopolitischen Schocks überprüft, Alternativstrategien entwickelt werden. Mehr strategische als operative Führung ist gefragt.

  • Die Einstellung zum Wachstum muss sich ändern. Nicht maximales Wachstum (auch wenn es anfangs profitabel erscheint) ist das Ziel, sondern ein ausgewogenes Portfolio nicht nur nach Regionen, sondern auch nach Stabilität der Erträge, Resilienzoptionen nach Totalausfall einzelner Geschäftsaktivitäten und technologischer „Abhängigkeit“ bei politischer Unsicherheit sind gefragt. Neue Aufgaben für den CEO stehen an.

Fazit
Ein fundiertes geopolitisches Konzept des Westens bzw. der EU ist jedenfalls nicht in Sicht. China treibt das Streben nach wirtschaftspolitischer Dominanz und ein gewaltiger kollektiver Nationalismus, Russland die aggressive Sehnsucht nach dem verlorengegangenen Imperium unter maximaler Ausnutzung militärischer „Initiativen“.
 
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