W&P Kommentar
München, 30.06.2016

eHealth: Digitalisierte Medizintechnik in Deutschland

Kommentar von Dr. Peter Fey, Leiter Medizintechnik & Dagmar Hebenstreit, Branchenexpertin bei Dr. Wieselhuber & Partner
Dr. Peter Fey
Leiter Medizintechnik 
Dagmar Hebenstreit
Senior Consultant 

Noch steht die deutsche Bevölkerung der digitalen Medizin zum Teil skeptisch gegenüber. Doch Gesetzesänderungen wie das IT-Sicherheitsgesetz (07/15) oder das neue eHealth-Gesetz (01/16) sowie die weltweit zunehmende Innovationskraft in der Medizintechnikbranche setzen den Markt zusehends unter Druck. Wie lang wird Deutschland noch an der Schwelle zur digitalen Medizin 4.0 verharren?

eHealth und Datensicherheit werden häufig im selben Atemzug erwähnt - und kontrovers diskutiert
Nicht nur die elektronische Datenspeicherung sondern auch die Vernetzung von Medizingeräten wirft immer wieder die Frage nach ausreichenden Sicherungssystemen auf. Dass ein hoher Sicherheitsstandard für Daten und Systeme gerade im medizinischen Bereich essentiell ist, wurde nicht zuletzt durch das neue IT-Sicherheitsgesetz deutlich in den Fokus gerückt. Dennoch muss das Bewusstsein dahingehend geschärft werden, dass es eine 100 %ige Sicherheit nicht geben kann.

Die eigentliche Schwachstelle liegt in der veralteten IT-Infrastruktur der Mediziner, gerade in Kliniken. Dringend notwendige Investitionen wurden jahrelang verschoben oder erst gar nicht getätigt - der Investitionsstau bis 2020 wird auf ca. 7 Mrd. %u20AC jährlich geschätzt. Naheliegend also, dass die größten Bedenken bei Angriffen auf Medizingeräte hinsichtlich des Diebstahls medizinischer Daten und der Manipulation der Geräte bestehen. Sicherheitstests und Sicherungsmechanismen in Software und mobilen Endgeräten lassen sich inzwischen gut umsetzen. Doch der erste Schritt zu einer sicheren digitalen Medizin muss die anwenderseitige Modernisierung der IT-Systeme sein.

Wie Wearables und ihre Nutzer die Zukunft der Medizinwelt prägen werden
Die zunehmende Nutzung von Wearables unterstreicht den Trend zu einer digitalisierten Gesundheitswelt. Der Einsatz von Wearables wird die Medizin nachhaltig beeinflussen, denn sie funktionieren wie ein Langzeit-Monitoring und bieten zum einen eine Grundlage zur Analyse möglicher Krankheitsursachen als auch eine präventive Instanz zur Vermeidung oder der Überwachung von Erkrankungen. Die Anwendungen zum Monitoring chronischer Erkrankungen stehen bereits in den Startlöchern.

Zwar können Wearables den Besuch beim Arzt nicht ersetzen, allerdings wird die Integration und Nutzung der gesammelten Daten zur Unterstützung des Mediziners auch im Hinblick auf den zunehmenden Versorgungsmangel immer attraktiver sowie zukünftig stärker vom Nutzer selbst gefordert. Gleichzeitig ist diese Entwicklung eine Reaktion auf den zunehmenden Wunsch nach Selbstbestimmung. Idealerweise lassen sich zukünftig gesundheitsrelevante Informationen sammeln, mittels App auf einem Dashboard betrachten und intuitiv verstehen. Dieses Patient-Empowerment passt sich der von Mobilität und Datenverfügbarkeit geprägten Lebenswelt an: Gesundheitsdaten sollen künftig standortunabhängig verfügbar und immer aktuell sein. Eine herkömmliche Patientenakte im Papierformat kann das nicht leisten.

Telemedizin als Antwort auf ärztlichen Versorgungsmangel
Die zentrale, digitale Sammlung der Patientendaten bietet verschiedene Vorteile. Der Verwaltungsaufwand wird reduziert, die Sicherheit durch verschlüsselt übermittelte Daten erhöht. Die anonymisierte Analyse der medizinischen Fakten individueller Einzelfälle ermöglicht die Anwendung erfolgversprechender Therapieansätze und ist kosten- und zeiteffizienter sowie schonender für den Patienten.

Ein weiterer wichtiger und notwendiger Meilenstein in einer durch digitale Tools unterstützten Medizin: Die Fernbehandlung. Aufgrund der niedrigen Standortattraktivität sind besonders stadtferne Gebiete vom prognostizierten Mangel an Haus- und Fachärzten sowie abnehmender Versorgungsqualität betroffen. Doch gerade hier ist der Altersdurchschnitt und damit der Anteil potenziell versorgungsbedürftiger Personen in der Bevölkerung besonders hoch. Eine Möglichkeit, diesem Mangel zu begegnen, bietet die Telemedizin. In anderen Ländern Europas oder den USA bereits erfolgreich angewendet, soll diese Behandlungsmethode auch in Deutschland etabliert werden. Einsatzgebiete liegen dabei sowohl in der Arzt-Patienten-Kommunikation als auch in der Vernetzung unter Kollegen. Gerade die telemedizinische Betreuung von Patienten in abgelegenen Gebieten oder das Telemonitoring zur Überwachung des Heilungsverlaufs oder der Durchführung therapeutische Maßnahmen sind attraktive Einsatzfelder.

Gerade für kleinere Krankenhäuser ist die Vernetzung des behandelnden Arztes mit Spezialisten an anderen Standorten ein großer Vorteil: Fachwissen kann kostenökonomisch eingekauft und die Qualität der Therapie gesteigert werden. Besonders attraktiv ist die Telemedizin in der intensivmedizinischen Betreuung transportunfähiger Patienten. Viele potenzielle Nutzer befürworten den Ausbau telemedizinischer Anwendungen, besonders unter dem Aspekt der Zeitersparnis. So liegt laut einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung bei 45% der Bevölkerung die grundsätzliche Nutzungsbereitschaft einer Videosprechstunde vor, besonders zur Vermeidung langer Wartezeiten auf einen Termin (82%) bzw. in der Praxis (70%) oder dem Arztkontakt zu unüblichen Zeiten wie Wochenenden oder Feiertagen (77%).

Medizin 4.0 - ein erstes Zwischenfazit
Das Schlagwort Medizin 4.0 wird gern mit der medizinischen Digitalisierung gleichgesetzt. Dabei bündelt dieser Überbegriff vielfältige Themen wie Telemedizin, eHealth, Big Data, Robotik, Personalisierung, Automatisierung sowie neue Kommunikationstechnologien. Nicht alle Entwicklungen konnten an dieser Stelle detailliert betrachtet werden, doch bieten sich zahlreiche Chancen für Mediziner und Patienten. Alle Beteiligten sollten auf eine dynamische Marktentwicklung vorbereitet sein. Mediziner müssen die entsprechenden Infrastrukturellen Grundlagen schaffen und die Ausbildungsinhalte dem neuen Berufsbild angepasst werden.

Die Einstellung der Bevölkerung gegenüber neuen Medizinkonzepten wird sich verändern - ein Prozess, der durch positive Erfahrungen und die schrittweise Etablierung in den Behandlungsalltag, unterstützt durch den Generationswechsel in der Ärzteschaft, vonstattengehen wird. Doch besonders die Anbieterseite muss sich auf einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage einstellen, denn sowohl Mediziner als auch Politiker haben die Notwendigkeit zum Handeln erkannt. 
 
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