Was sind die angesagten Themen im Bereich Sanierung und Insolvenz Jahr 2023? Auf einer Skala von 1-10: Welche Trends gibt es und welchen „Impact“ haben sie?
Sanierungsexperte Matthias Müller von Dr. Wieselhuber & Partner (W&P) wagt eine Prognose – im Trendradar 2023.
Verändertes Finanzierungsumfeld: Finanzielle Restrukturierung frühzeitig angehen! Impact 10
Die jüngsten geopolitischen und makroökonomischen Entwicklungen (Inflation, Zinsumfeld, Geldmenge, Rezessionsanzeichen) haben zu deutlichen Auswirkungen auf dem Finanzierungsmarkt geführt. Der Einbruch im Finanzierungsvolumen von leveraged loans, bei high yield bonds sowie im direct lending hat in Verbindung mit relativ gesehen deutlich gestiegenen Spreads für ausfallgefährdete Finanzierungen die Refinanzierung von Problemkrediten deutlich erschwert. Die Folge: Vor allem starke Kredite können die Refinanzierung ihrer Fälligkeiten gewährleisten. Für schwächere Kredite oder übermäßig fremdfinanzierte Unternehmen wird sich die Finanzierungssituation deutlich erschweren. Die Aufnahme von Gesprächen mit den bestehenden und neuen Gläubigern ist unabdingbar. Hauptziel muss die Verlängerung der Laufzeiten sein, um weitere Zeit für die nachweisliche Erholung des Geschäftes zu erhalten. Bei absehbaren Durchfinanzierungsproblemen in 2023 und 2024 sollten Kreditnehmer daher frühzeitig mit Maßnahmen zur finanziellen Restrukturierung beginnen. Dringend notwendig ist dabei ein auf einem fundierte Geschäftsplan basierendes Konzept, welches einen klaren Weg zur Erholung zeigt. Auch im gehobenen Mittelstand wird bei Kreditrestrukturierungen in den nächsten Jahren neben klassischen Amend & Extend-Lösungen zunehmend über Lösungen wie Uptierung, asset-drop-down, retraching und share-pledges nachgedacht werden.
Real Estate: Gerichtsfeste Durchfinanzierung sichern! Impact 9
Die Zinswende, Inflation und Rezessionsängste sorgen allgemein für ein Klima der Verunsicherung in der Immobilienbranche. Dies ist Gift für Investoren und Finanzierer. Die Kreditvergabe ist vor allem bei riskanteren Finanzierungen wie den Projektentwicklungen schwieriger geworden. Diese Unsicherheiten führen zu haftungsrelevanten Fragestellungen, vor allem auf Finanzierer- aber auch Gesellschafterseite. Die Antwort dafür wird sich in formalgetriebenen Dokumentationen finden, sei es eine Fortführungsprognose gemäß IDW S11 oder einem Sanierungskonzept gemäß IDW S6. Über die Thematik der Notwendigkeit eines IDW S6 im Immobilienkontext kann trefflich diskutiert werden. Unabhängig davon welche Position man im Einzelfall vertritt, muss auf jeden Fall die Durchfinanzierung bestätigt werden. Generell macht der BGH hinsichtlich Sanierungskonzepten keine Unterscheidung zwischen Corporate und Real Estate (Ausnahme Single-Asset-Strukturen). Ein entscheidender Faktor pro/contra S6 ist im Hinblick auf die lender liability, wie wahrscheinlich die kurzfristige Umsetzung einer stabilen Lösung ist. Zentrale Anforderung an den betriebswirtschaftlichen Sanierungsgutachter ist die Hinzuziehung von Expertise im Bereich Bau/Immobilien sowie eine umsetzungsorientierte Beurteilungs- und Lösungskompetenz in der Real Estate Finanzierung.
Private Equity und -Debt: Sanierungskonzepte als Entscheidungsgrundlage in den Mittelpunkt stellen! Impact 8
Bis zum Februar 2022 waren M&A-Transaktionen durch hohes Multiples und ambitionierte Geschäftsplanungen gekennzeichnet. Die Finanzierung des Kaufpreises erfolgte häufig zu mindestens 50 % über die Bilanz des gekauften Unternehmens, was zu einer sehr hohen Verschuldungswerten führte. In der Praxis wurde ab August 2022 häufig ein ähnliches Muster beobachtet. Durch die Entwicklungen des Jahres 2022 sinkt die Ertragsqualität deutlich und die Durchfinanzierung ist dann auch auf Grund der hohen Zins- und Tilgungszahlungen gefährdet. Ebenso zeigt sich, dass die Rückkehr in stabile Verschuldungsrelationen einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Um wieder ins Geld zu kommen, wird häufig ein Haircut verlangt werden. Alternativ werden verstärkt Debt-to-equity-swaps von Seiten der Kaufpreis-Gläubiger zu beobachten sein. Zur Haftungsverringerung und auch zur Entscheidungsfindung wird hier ein Sanierungskonzept (gemäß dem IDW S6) als neutrale Entscheidungsgrundlage im Mittelpunkt des Sanierungsprozesses stehen. Notwendig ist ein nachvollziehbares Zahlengerüst als Basis von umsetzungsorientierten und konsensfähigen Handlungsoptionen, vor allem im Kontext der aktuellen geopolitischen Spannungen.
CO2-Neutralität: Finanzierbarkeit sichern! Impact 8
Neben Kunden und Lieferanten haben auch potenzielle Investoren oder Kreditgeber ein Interesse an klimaneutralen Partnerschaften und bevorzugen Unternehmen, die zukunftsfähig aufgestellt sind. Eine der zentralen Anforderungen an aktuelle Sanierungskonzepte ist daher die Quantifizierung einer sofortigen oder späteren CO2-Neutralität auf GuV, Bilanz und Cash-Flow. Die „harte Währung“ in der Sanierung ist die gesicherte Durchfinanzierung und die Refinanzierungsfähigkeit. Die oben genannten Szenarien müssen unter diesen Aspekten bewertet werden. Die zentrale Fragestellung dabei ist, ob das betrachtete Unternehmen heute in der Lage wäre, die CO2-Neutralität zu finanzieren – sei es durch Kompensation oder durch Investitionen. Eine Diskussion über den zeitlichen Rahmen der Umsetzung kann mit dem Regulator oder den Kunden geführt werden, allerdings nicht über die Maßnahmen selbst.
Insolvenzantragsgründe: Regelmäßigen Finanzstatus ermitteln zur Haftungsreduzierung! Impact 7
Mit dem Urteil vom 28. Juni 2022 – II ZR 112/21 hat der BGH festgehalten, dass der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit (§17 InsO) durch mehrere, tagesgenaue Finanzstatus (Verhältnis freie Liquidität zu den fälligen Verbindlichkeiten) geführt werden kann. Mit der Entscheidung vom 28. April 2022 – IX ZR 48/21 hält dieser weiter fest, dass der Verweis auf vier Finanzstatus mit einer Unterdeckung von jeweils mehr als 40% als Nachweis ausreichend ist. Interessanterweise führt diese Methode in der Praxis regelmäßig zu einer früheren Annahme einer Zahlungsunfähigkeit als die Liquiditätsbilanz. Für die zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit verpflichteten gesetzlichen Vertreter des Unternehmens führt dies zu erhöhten haftungsrelevanten Fragestellungen, da der stichtagsbezogene Finanzstatus insbesondere rückwirkend recht einfach erhoben werden kann. Gerade in Krisenzeiten sollten Unternehmen die Zahlungsfähigkeit aktiv beobachten. Der Finanzstatus schafft eine neutrale und emotionsfreie Gewissheit über die Ausgangslage und gibt die Richtung für die weitere Vorgehensweise vor. Daher sollte dieser als zusätzliches Instrument und Indikator zur Beurteilung der ständigen Zahlungsbereitschaft in regelmäßigen Abständen ermittelt werden.