W&P Kommentar
München, 10.04.2019

Der WLTP-Knick: Wege aus der Finanzierungsklemme für Automobilzulieferer

von Christian Groschupp, Mitglied der Geschäftsleitung bei Dr. Wieselhuber & Partner
Christian Groschupp
Partner 

Die Verunsicherung der Kunden in Folge des Dieselskandals sowie die Umstellung auf den Abgas- und Verbrauchsstandard WLTP (Worldwide Harmonized Light-Duty Test Procedure) haben deutliche Spuren in der Automobilindustrie hinterlassen. Die Neuzulassungen auf dem deutschen Automobilmarkt sanken um 0,4% - der erste Rückgang überhaupt seit 2014. Vor allem die deutschen Autohersteller mussten zahlreiche Modelle zeitweise aus dem Programm nehmen, fehlende Labor- und Ingenieurs-Kapazitäten für den WLTP-Test konnten kurzfristig nicht kompensiert werden. Der Ausblick für 2019 weist nicht auf eine Erholung hin: Kaum haben die Hersteller die WLTP-Zertifizierung ihrer Pkw-Modelle so einigermaßen im Griff, müssen die Fahrzeuge schon wieder ins Prüflabor und sich dem neu gestalteten Ausdünstungs-Test EVAP (Evaporative Emission Control System) unterziehen.

Investitionen der Zulieferer in neue Hybrid und E-Modelle werden gefährdet
Die Auswirkungen dieser Unsicherheiten für die Automobilzulieferbranche sind gravierend. Viele Zulieferer sehen sich aktuell mit einer Situation konfrontiert, in der die OEMs geringere Stückzahlen für in Produktion befindliche Produktreihen ordern als ursprünglich prognostiziert. Das führt bei den Zulieferern zu sinkender Auslastung und Profitabilität und in der Folge teilweise zu Liquiditätsengpässen.

Diese Schwierigkeiten kommen für viele Automobilzulieferer zur Unzeit. Aktuell werden mit den OEMs Verhandlungen über neue Produktionsaufträge für die Umstellung der Modellpaletten im Hybrid- und Elektrobereich geführt. Diese neu zu implementierenden Technologien führen bei den Zulieferern zu steigenden Aufwendungen im Bereich F&E und im Aufbau der künftigen Produktionslinien unter den geänderten Vorzeichen. Das zieht einen erheblichen Investitions- und Finanzierungsbedarf nach sich. Gleichzeitig sind Hausbanken mit der klassischen Kreditvergabe im Automotive-Sektor zunehmend zurückhaltend, das Branchenrating steht unter Druck. Erste Banken gehen keine zusätzlichen Engagements im Automotive-Sektor mehr ein.

Wer als Automobilzulieferer über eine mittlere bis gute Bonität verfügt, sollte deshalb jetzt eine langfristige Refinanzierung prüfen. Dabei ist eine Finanzierungslaufzeit vom mind. 3 bis 5 Jahren anzustreben und mögliche Veränderungen im Markt und der Wertschöpfungsstruktur zu berücksichtigen. Wer aber hierzu nicht die Möglichkeiten hat oder über ausreichende eigene Finanzmittel verfügt, gerät schnell in eine Liquiditätsklemme. In dieser kapitalintensiven Phase können unter bestimmten Voraussetzungen Asset-basierte Finanzierungsformen einen Lösungsweg darstellen.

Finanzierungen über Zweckgesellschaften bieten Vorteile
Künftig benötigte Produktionskapazitäten in zu errichtenden Anlagen für die neuen Hybrid- und E-Modelle können grundsätzlich in Zweckgesellschaften, sog. SPVs (Special Purpose Vehicles) ausgelagert und finanziert werden. Dem Zulieferer werden die Anlagen dann über eine Leasingstruktur zur Nutzung überlassen. Aus Sicht der Finanzierer hat dies den großen Vorteil, dass er die Finanzierung der Anlage von der Bonität des Zulieferers entkoppeln und auf die Bedeutung des Projektes für den OEM abstellen kann.

Die Investition und Finanzierung erfolgen dabei bewusst außerhalb der Bilanz des betreffenden Zulieferers in einem SPV und somit im Worst Case außerhalb der Insolvenzmasse des Zulieferers. Der Leasingvertrag, mit dem die Anlage dem Zulieferer dauerhaft zur Nutzung überlassen wird, ist im Insolvenzfall kündbar. Damit wird die im SPV finanzierte und bilanzierte Anlage für diesen Fall fungibel. Denkbar sind Konstruktionen dieser Art unter maßgeblicher Einbindung des betreffenden OEM sowohl mit einer anschließenden Nutzungs-/Leasingvereinbarung oder mit einem gesellschaftsrechtlichen Zugriff auf die Gesellschaftsanteile des SPV durch den OEM. Damit kann sichergestellt werden, dass die Lieferfähigkeit in Bezug auf die für die Produktion eines Modells vom OEM benötigten Teile, die in der finanzierten Anlage hergestellt werden, auch in Krisenfällen gewährleistet bleibt.

Ein wesentlicher Vorteil für den Zulieferer ist, dass auch Investitionen für die Automatisierung mitfinanziert werden können, da die gesamte Fertigungsanlage und nicht einzelne Maschinen im Fokus stehen. Für HGB-Bilanzierer ist zudem eine außerbilanzielle Finanzierung der Anlageninvestition möglich. Bei IFRS-Bilanzierern wird die Finanzierung gem. ab 01.01.2019 gültigem IFRS 16 beim Zulieferer bilanziert. Die Leasingrate wird aufwandsmäßig jedoch dem Finanzergebnis zugeordnet und somit wird das EBIT des Zulieferers nicht belastet.

Wesentliche Voraussetzung für eine entsprechende Finanzierungskonstruktion ist, dass die in der Anlage zu produzierenden Teile direkt einem OEM zuzuordnen und Gegenstand einer „Single-Source“-Strategie des OEM sind. In Deutschland lassen sich solche Finanzierungen bei einem Volumen ab 10 Mio. €, in Österreich ab ca. 20 Mio. € realisieren. Andere Länder sind in Einzelfällen ebenfalls möglich. Der Zulieferer hat hierbei im Rahmen des zu schließenden Leasingvertrages eine Anzahlung in einer Größenordnung von 20 bis 30% der zu finanzierenden Gesamtinvestitionskosten an die Zweckgesellschaft zu leisten, die diese im Rahmen der Finanzierung der Anlage als „Eigenkapital“ verwenden kann. Die Vertrags-, Finanzierungs- und Sicherheitengestaltung erfolgt idealerweise einvernehmlich abgestimmt mit dem Zulieferer und dem OEM. Eine Finanzierung über ein SPV ist grundsätzlich auch bei Anlagen möglich, die sich bereits im Betrieb befinden. Erfahrungsgemäß sollte die Restlaufzeit des OEM-Vertrages in solchen Fällen eine Dauer von mind. 42 Monaten nicht unterschreiten. Die o.g. Mindestvolumina gelten aufgrund des grundsätzlich gleichen Strukturierungsaufwandes unverändert.

Herkömmliche Sale-and-Lease-Back Lösungen zur Liquiditätsgenerierung
Treffen die beschriebenen Bedingungen nicht zu, so sollten klassische Sale-and-Lease-Back oder Mietkauf-Lösungen ohne den Einsatz von Zweckgesellschaften zur Schaffung von Liquiditäts- und Investitionsspielräumen geprüft werden. Dabei können sowohl Einzelmaschinen als auch der gesamte Anlagevermögen zur Finanzierung herangezogen werden. Grundsätzlich gilt hier, dass hohe Anforderungen an die Drittverwendbarkeit bzw. die Sekundärmarktfähigkeit der Anlagegüter gilt: Es sollten sich um mobile, werthaltige und universal einsetzbare Maschinen handeln. Nicht geeignet sind Spezialmaschinen (Eigenbauten, Sondermaschinen o.ä.) oder verkettete bzw. immobilen Anlagen. Auch eine sehr kurzlebige Technik wie z.B. IT und Solar eignet sich zur Finanzierung nur sehr bedingt.

Die nachfolgende Übersicht skizziert die wesentlichen Parameter und Rahmenbedingungen der verschiedenen Finanzierungsansätze:
Abb. 1: Parameter und Rahmenbedingungen verschiedener Finanzierungsansätze

Neben den oben erläuterten Vorteilen in Bezug auf die Bilanzierung der Finanzierung über eine SPV-Konstruktion sind insbesondere die der Refinanzierung zugrundliegenden Zinssätze bei herkömmlichen Mobilienleasing-Gestaltungen regelmäßig erheblich höher und verteuern diese Art der Finanzierung entsprechend. Immobilienleasing kann aufgrund der Immobiliensicherheit bei bonitätsmäßig guten Nutzern unter Umständen sehr zinsgünstig gestaltet werden.

Wege aus der Finanzierungsklemme für Automobilzulieferer? Die gibt es also. Alle Optionen sollten genau unter die Lupe genommen und eine adäquate Option ausgewählt werden, um so die langfristige Finanzierung in unsicheren Zeiten zu gewährleisten.
 
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