W&P Kommentar
München, 18.06.2021

Agile Organisationen – Die große Freiheit, aber bitte in klaren Strukturen!

Kommentar von Dr. Stephan Hundertmark, Mitglied der Geschäftsleitung bei Dr. Wieselhuber & Partner
Dr. Stephan Hundertmark
Partner 

Würde man den Ratschlägen einiger „Agile Coaches“ konsequent folgen, müssten UnternehmerInnen befürchten, dass ihr Unternehmen bald einer Hippie-Kommune gleicht: Unternehmenserfolg und Wettbewerbsvorteile in einer VUCA-Umwelt werden nur erreicht, wenn Verantwortung in dezentrale, vermeintlich hierarchiefreie und autonome Teams delegiert wird. Sie wissen schon was richtig ist, handeln partnerschaftlich und im besten Interesse des Unternehmens. Soweit die Utopie.

Richtig ist, dass das Wettbewerbsumfeld von Unternehmen kurz-zyklischer und volatiler wird. Die Komplexität der vernetzten Wertschöpfung nimmt zu, ebenso wie die Häufigkeit externer Shocks. Dies können Störungen der vernetzten Wertschöpfungskette sein, der Ausfall kritischer Vor- und Zwischenprodukte oder eben auch eine Pandemie. Daher werden streng hierarchische Organisationen, die auf economies of scale & scope durch spezialisierte funktionale Silos abzielen, den Anforderungen des dynamischen Wettbewerbsumfelds oftmals nicht mehr gerecht.
Aber wie können sich Unternehmen bestmöglich aufstellen, um in diesem Marktumfeld langfristig erfolgreich zu sein?

Agieren auf Sicht mit klaren Zielen vs. langfristige Detailplanung und Mikromanagement
Kernelement agiler Organisationen ist die Loslösung von der langfristigen und detaillierten Planung von Maßnahmen und Effekten in einer vermeintlich deterministischen Umwelt. An diese Stelle rückt die Vereinbarung klarer Ziele und ein engmaschiges und verbindliches Netz von Kontrollschleifen und Adaptionsmöglichkeiten. So steigt die Steuerungs- und Kontrollintensität, während gleichzeitig mehr Möglichkeiten zur schnellen Reaktion auf Unwägbarkeiten bestehen. Kurzzyklische „Sprints“ ersetzen starre Planungsrunden, zwischen denen nicht selten mehrere Monate liegen.
Mit Blick auf die Prozessorganisation von Unternehmen ist zu prüfen, für welche Prozesse sich die Adaption von agilen Prinzipien eignet: Für Routineprozesse die v.a. auf Effizienz getrimmt werden müssen, eher nicht. Hier bleiben eine maximale Standardisierung und digitale Automatisierung das Mittel der Wahl. Geeignet sind vielmehr kreative oder durch externe Unwägbarkeiten geprägte Prozesse und Aufgaben, wie die Entwicklung, die Steuerung des Produktportfolios und die Marktbearbeitung in Vertrieb und Marketing.

Widerspruchsfreie Teamarbeit vs. autoritäre oder basisdemokratische Entscheidungen
In Bezug auf die Aufbauorganisation eignen sich agile Prinzipien vor allem dort, wo funktionsübergreifende Teams zum Einsatz kommen und zügig Ergebnisse gebraucht werden. Tatsächlich ist die Idee hier, die Erarbeitung einer Lösung in gemischte Teams aus „Betroffenen“ zu delegieren.
Das funktioniert so lange gut, bis Ergebnisse und Entscheidungen unterschiedliche Konsequenzen für beteiligte Bereiche und Schnittstellen haben. Dann folgt meist eine Eskalation über die Hierarchien, die zur Absicherung ihrer Entscheidungen wieder detaillierte Folgeabschätzungen und Planungen einfordern. Hier werden dann weitere Anforderungen an das Ergebnis definiert. Die ursprüngliche Notwendigkeit, ein schnelles Ergebnis zu finden, wird dann abgelöst von der „eierlegenden Wollmilchsau“.

Um diesem Teufelskreis zu entgehen, braucht es für agil organisierte Teams eine andere Entscheidungsroutine für Zielkonflikte und die Verabschiedung von Lösungen. Es geht dann nicht mehr darum, dass alle Beteiligten der Entscheidung zustimmen, sondern dass niemand Einwände gegen die vorgeschlagene Lösung hat - ein „feiner“ aber wichtiger Unterschied. So bleibt gewährleistet, dass für ein Problem taugliche und schnelle Entscheidungen getroffen werden, die nicht zwingend dem Anspruch genügen, bestmögliche und allgemeingültige Lösungen zu schaffen. Zeit für eine sukzessive Optimierung bleibt immer und kann dann zusätzlich neue Änderungen der VUCA-Umwelt berücksichtigen.

Fazit: Mit klaren Strukturen kann die Steuerung von Prozessen und die Freiheit von Teams bestmöglich gedeihen. Hippie-Kommune? Die ist nicht zu fürchten, wenn es organisatorische „Leitplanken“ für geschaffene Freiheitsgrade gibt.

Weitere Informationen zum Thema auch im W&P Dossier „Agiles Management: Wie Sie die Leistungsfähigkeit Ihres Unternehmens steigern“.
 
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